siehe auch:
http://www.klausens.com/seriello_katharina_sieverding_ohne_sieverding.htm
http://www.klausens.com/seriello_katharina_sieverding_mit_sieverding.htm
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Der Versuch der Annäherung an Sieverdings "gedachte" fotografische Bilder stößt deshalb notwendigerweise auf gewisse Probleme der Definition dessen, was Fotografie in diesem Werk bedeutet. Denn die gängigen Bestimmungen des Fotografischen versagen angesichts ihrer höchst eigenwilligen Medienpraxis. So zum Beispiel die weithin akzeptierte Definition, die der französische Philosoph Roland Barthes zur Abgrenzung der Fotografie von der Malerei gegeben hat. "Anders als diesen Imitationen [der Malerei]" schreibt Barthes "lässt sich in der PHOTOGRAFIE nicht leugnen, dass die Sache dagewesen ist. Hier gibt es eine Verbindung aus zweierlei: aus Realität und Vergangenheit. Und da diese Einschränkung nur hier existiert, muss man sie als das Wesen, den Sinngehalt (noema) der PHOTOGRAFIE ansehen. Worauf ich mich in einer PHOTOGRAFIE intentional richte [...], ist weder die KUNST noch die KOMMUNIKATION, sondern die REFERENZ, die das Grundprinzip der PHOTOGRAFIE darstellt."
Im Blick auf Katharina Sieverdings Werk ist Barthes Definition des Fotografischen nur als Kontrastfolie tauglich, vor der das Spezifische und Einzigartige von Sieverdings Arbeit mit Fotografie in Erscheinung tritt. KUNST und KOMMUNIKATION - die beiden anderen Begriffe, die Barthes gegen das Referentielle der Fotografie als Qualitäten der Malerei ins Feld führt - scheinen dagegen zum Verständnis von Sieverdings Umgang mit Fotografie sehr gut geeignet. In dieser allgemeinsten Bestimmung der Fotografie - als Kunst und als Medium der Kommunikation - finden sich Grundmomente von Katharina Sieverdings Medienverständnis. Die sukzessive Ablösung vom referentiellen Bezug der Fotografie geht einher mit der Steigerung des Kunst-Charakters und des zeitkritisch-kommunikativen Anspruchs der Werke.
Zweifellos sind viele von Katharina Sieverdings Arbeiten
zunächst in einer fotografisch dokumentierten Wirklichkeit verankert.
Als Ausgangsmaterial dienen der Künstlerin seit den 1970er Jahren
Bilder der Massenmedien, Pressefotografien, Fernsehbildaufnahmen,
fotografische Fundstücke also, die sich häufig schon aufgrund ihrer
Rasterpunkte oder anderer standardisierter Einheiten als Reproduktionen
nach anderen Bildmedien zu erkennen geben. So zum Beispiel
Großfoto
VIII aus dem Jahr 1977 (Abb. 1): Die Arbeit im Format von 303 x 461 cm
ist eine Montage von vier Einzelbildern. Drei Bildsegmente zeigen
unterschiedlich stark vergrößerte farbige Rasterpunkte, das vierte die
Zeilen des Farbfernsehbildes. Die Künstlerin hat die Medienbilder - die
Offset-Drucke und die fotografische Reproduktion des Fernsehbildes -
zunächst xerokopiert und diese Farbkopien zur Grundlage der
fotografischen Vergrößerung gemacht. Damit enthält Großfoto VIII bei
genauer Betrachtung zwei Ebenen des Reproduktiven: die feine Struktur
der Xerokopie überlagert und vermischt sich mit dem groberen Raster des
Offset-Druckes bzw. den Zeilen des Fernsehbildes. Die Künstlerin löst
diese Bilder jedoch aus ihren Kontexten, sie beendet die Kette der
Reproduktionen, unterwirft ihr Ausgangsmaterial langwierigen
künstlerischen Transformationsprozessen, sie klärt, verdichtet und
steigert die Bildwirkung, kombiniert mehrere Bilder miteinander,
amalgamiert sie zu fotografischen Synthesen und verwandelt ihr
Ausgangsmaterial sukzessive in fotografische Originale, in Werke mit
Unikatcharakter. Auch wenn derartige Bilder aufgrund ihrer
massenmedialen Herkunft und ihres Großmaßstabs immer wieder mit Bezug
auf Plakate und öffentliche Werbetafeln gedeutet werden, so sind sie
doch entschieden auf das Museum als Ort der "medienbewussten" Rezeption
angewiesen. Im Wechsel zwischen Nah- und Fernsicht eröffnet sich dem
Betrachter nämlich ein reiches Spiel bildlicher Feinstrukturen; sie
führen die einzelnen Motive in die Spannung zwischen gegenständlicher
Lesbarkeit und medialer Auflösung. Rasterpunkte, Zeilenstrukturen und
(in den späteren Werken) digitale Pixel - Elemente, die die
Alltagswahrnehmung öffentlicher Bilder unbewusst ausfiltert - werden
auf diese Weise als ästhetische Bildmittel aktiviert und zur Geltung
gebracht.
So wie Sieverdings fotografische Kunstwerke die Charakteristika reproduktiver Medien aufnehmen können, so auch die Merkmale des nicht-reproduktiven Mediums der Malerei. In der Norad-Serie von 1984 (Abb. 2) treibt Sieverding die Fotografie an den Punkt größter bildlicher Autonomie. Eine nicht-deskriptive Farbigkeit, harte Kontraste aus leuchtenden Rot-, Blau- und Grün-Tönen, kreisende Farbwirbel und formauflösende Überlagerungen absorbieren die Gegenstände soweit, dass sie in der monumentalen Präsenz des Bildes aufgehen. Durch die versetzte Wiederholung des gleichen Motivs und die doppelte Belichtung ergeben sich visuell hochgradig verrätselte Bildstrukturen, die eine Aussage über die Herkunft und Bedeutung der verwendeten Bilder kaum mehr möglich machen. Die Arbeit in der Dunkelkammer hat die bildlichen Vorlagen in eindrucksvolle Bildvisionen verwandelt. In diesem Prozess haben sich Zeichen und Bezeichnetes voneinander entfernt. Wenn Roland Barthes für die Fotografie annimmt, dass der Referent "haften" bleibt , während in der Malerei - spätestens seit Magritte - die Beziehung von Zeichen und Bezeichnetem radikal negiert wird, so muss man bei Sieverdings anti-fotografischen Verfahren von einer Lockerung dieser Beziehung ausgehen. In die gleiche Richtung einer semantischen Verrätselung des Bildlichen weisen auch die gelegentlich von Sieverding eingefügten Satzfragmente; sie liefern ebenso wie die Titel nie eindeutige Referenzen, sondern schaffen Assoziationsräume, in denen die Bilder wirksam werden.
Eine neue Dimension des Künstlerischen eröffnete Sieverding in den 1990er Jahren: Neben die öffentlichen Bilder der Massenmedien treten in dieser Zeit medizinisch-naturwissenschaftliche Innenbilder des menschlichen Organismus, ohne dass dadurch der zeitdiagnostische, kritische Impuls von Sieverdings Kunst verloren ginge. Die Kristallisationsbilder aus dem Jahr 1992 (Abb. 3) sind Fotogramme, die auf mikroskopischen Aufnahmen von auskristallisiertem Blut basieren. Solche Bilder - unverwechselbare Signaturen des Individuums - werden in der alternativen Medizin zur Bestimmung von Organfunktionen eingesetzt. Über diesen diagnostischen Aspekt hinaus verknüpft sich mit dem Kristallmotiv ein weiter gedanklicher Kontext, den Sieverding in ihrem Werk reflektiert. Seit der Romantik wurde die Kristallmetapher zur Behauptung einer mystischen Einheit von Geist und Natur, zur Vertiefung des Naturbegriffs ins Kosmische und als Mittel zur Synchronisation von Natur und Kunst eingesetzt. Als zugleich empirische und geistige Form diente das Kristallmotiv dazu, die reine Form als Kunst und Natur übergreifendes Gesetz zu behaupten. In diesem Sinne konnte die Kristallmetapher zur Legitimation der abstrakten Kunst in der Klassischen Moderne eingesetzt werden, und in gewisser Weise kommt ihr diese Bedeutung auch im Werk von Katharina Sieverding zu. Denn im Kristallmotiv wird die in Sieverdings Kunst zunehmende Spannung zwischen sich verselbständigender Form auf der einen und die Ebene des Formalen übersteigender Bedeutung auf der anderen Seite aufgehoben: Abstrakte Bildform und geistiger Gehalt werden in den Kristallisationsbildern in eins gesetzt. Die Fotografie fungiert quasi als - ins Monumentale gesteigertes - "Beweismittel"; sie wird damit letztlich zur Membran für eine nicht-fotografische Botschaft. Mit dem Kristallmotiv rechtfertigen sich abstrakte Formen im Werk einer Künstlerin, der es vor allem um die Kommunikation von Inhalten, um geistige Dimensionen in der Kunst geht.
Hier knüpft die Serie der Steigbilder aus dem Jahr 1997, Sieverdings Beitrag auf der 47. Biennale in Venedig, an. In den Steigbildern hat die Künstlerin zwei Ebenen ihres Werkes in einer eindrucksvollen Bildsequenz zusammengeführt: das Raisonnement über öffentliche Themen auf der Grundlage von realitätshaltigen Bildern der Massenmedien und die großen menschheitlichen Fragen der Zukunft allen Lebens, die in rätselhaften, nie gesehenen Innenbildern des menschlichen Organismus zur Anschauung gebracht wurden. (Abb. 4) Gleichzeitig hat Sieverding den Sprung von der analogen zur digitalen Bildmanipulation vollzogen: Seither betreibt die Künstlerin ein virtuoses Spiel mit dem Computer, ohne ihr Werk den schier unerschöpflichen medialen Möglichkeiten auszuliefern. Wie im Umgang mit der technischen Infrastruktur der Fotografie setzt Sieverding die digitalen Formen der Bildbearbeitung immer mit präzisen inhaltlichen Interessen ein und verhindert auf diese Weise, dass das Medium selbst zur Botschaft wird. Die monumentalen Steigbilder sind faszinierende Bildhybride, deren Genese in analog-digitalen Mischprozessen durch die Anschauung allein nicht zu entschlüsseln ist. So wurde beispielsweise die Struktur des Rasterpunktes einer Zeitungsaufnahme von der Rückführung bosnischer Waisenkinder nach Sarajewo in Steigbild V (Kat.-Abb.) mit der digitalen Feinstruktur lachender Strichgesichter synthetisiert. Was aus der Ferne als stark vergrößertes Zeitungsbild noch gegenständlich lesbar ist, löst sich aus der Nähe betrachtet in das flächige Gewoge unterschiedlich farbiger Pixel auf. Die komplizierte mediale Konstruktion der Steigbilder bringt eine genuine Eigenschaft der Fotografie - ihre mediale "Unsichtbarkeit" , ihre mimetische Transparenz - zum Verschwinden.
Mittlerweile ist Sieverding eine Meisterin im Herstellen von medialen Schnittstellen, in die unterschiedliche historische Schichten und Bedeutungsebenen eingelagert sind. In Visual Studies VIII/2004 (Kat.-Abb.) sind es ein Zeitungsbild aus dem Jahr 2003, eine Patrouille britischer Soldaten vor einer Kamelherde im Nordirak darstellend, und ein Archivbild der U.S. Air Force mit der Aufnahme der Explosion einer Atombombe im Jahr 1958, die aus der Ferne von einigen Menschen beobachtet wird. Die digitale Montage der duplizierten und transformierten Bilder, ihre Verschiebung, motivische Aufspaltung und monumentale Vergrößerung bringen eine neue "Opazität des Bildes" hervor. In Encode VII, 2006 (Kat.-Abb.) gestaltet sich Sieverdings Verfahren der Konstruktion medialer Schnittstellen als strukturelle Durchdringung dreier Bild- und Bedeutungsebenen: des Holocaust-Stelenfeldes von Peter Eisenmann in Berlin, eines Modells der KZ-Anlage Sachsenhausen und einer Gruppe monumentaler DDR-Plattenbauten. Drei spezifisch verortete politische Bilder gehen eine Bildsynthese ein, deren neuer Gesamtrhythmus zwischen Tiefenraum und Bildfläche sich aus der vielfachen Staffelung geometrischer Flächen und Körper formt - eine komplexe Struktur, in die emanzipatorische Bedeutung eingelagert ist.
Bei aller inhaltlichen Vieldeutigkeit, bei aller Differenziertheit der künstlerischen Mittel ist Sieverdings Werk auch in einem hohen Maß von innerer Konsequenz und Konsistenz geprägt. Dies wird vor allem deutlich, wenn man die Werkgruppen betrachtet, in denen Sieverding Medium und Körper miteinander in Berührung bringt. Wie eine magischer Bilderstrom durchzieht das Antlitz der Künstlerin ihr Werk seit dem Ende der 1960er Jahre: die exaltierte Pose der Maton-Serie, die stilisierte Physiognomie der Goldmasken, die solarisierten Selbstbilder im Stauffenberg-Block, die ikonostasehafte Porträtaddition in Die Sonne um Mitternacht schauen (Abb. 5). Die künstlerische Praxis des Bildrecycling führt ältere Porträts in neue Werk- und Präsentationszusammenhänge, das Neue artikuliert sich in der Aneignung des Älteren, führt es in ein neues gedankliches Bezugsfeld und hebt es auf die Stufe der Gegenwart. Und so wie Sieverdings Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen häufig mit Verweisen auf kosmisch-energetische Zusammenhänge versehen ist, so bewegen sich auch die Selbstporträts in der Spannung zwischen schmeichelnder Selbststilisierung, kritischem Anspruch und quasi mystischer Evokation. Denn das Paradox von Sieverdings fortwährender Befragung des eigenen Gesichts besteht darin, dass das Vertraute ins Fremde umschlagen kann. Paradigmatisch hierfür ist das montierte Großfoto V 75, 1975 (Kat.-Abb.), in dem das fotografierte Gesicht der Künstlerin - von einem roten Farbfeld überlagert - mit dem gerasterten Zeitungsfoto eines geschminkten Darstellers der Peking-Oper in Beziehung tritt. Welches der Gesichter wirkt maskenhafter? Was ist das, was wir im Westen gewohnt sind, Subjekt zu nennen? Die Bildmontage unterläuft nicht nur alte Gewissheiten von einem einheitlichen Selbst, sondern die Möglichkeit künstlerischer Selbst-Repräsentation ins gesamt.
Das Gesicht in seiner zeitenthobenen Einkleidung - schwankend zwischen "Ego-Dramatisierung und Ego-Vernichtung" - ist für Katharina Sieverding ein permanent aktivierbarer Spiegel, eine vielfach gebrochene Kommunikationsform für die künstlerische Weltvision. Insoweit scheinen die Selbstporträts keineswegs kategorial vom übrigen Werk geschieden; für sie gilt genauso wie für die Serien Großfotos, Norad, Kontinentalkern, Visual Studies und Encode, dass sie einen Appell an den Betrachter richten, einen umfassenden Anspruch stellen: Sieverdings Werke erschöpfen sich weder in formalem Kalkül und grandioser ästhetischer Wirkung, noch in kritisch-emanzipatorischen Gehalten. Beide Ebenen verschränken sich in kraftvollen, spannungsgeladenen Bildern. Dem Medium Fotografie hat Sieverding damit eine grundsätzlich neue Orientierung gegeben: Wenn Roland Barthes der Fotografie die Dokumentation einer vergangenen Realität zuordnet, so begreift Sieverding die Fotografie als Möglichkeit, immer wieder neue visionäre Bildräume zu öffnen.
Katharina Sieverding ist in ihrem künstlerischen Werk an die Grenzen der Ausdrucksmöglichkeiten vorgedrungen. Die enorme Energie, die ihre Arbeiten ausstrahlen, hängt nicht zuletzt mit deren monumentaler Größe zusammen. Die raumgreifenden Formate bewirken beim Betrachter größtmögliche körperliche Nähe und gleichzeitig eine rationale Distanz von der totalen visuellen Verdichtung.
Die Preisverleihung findet anlässlich der Eröffnung der Cologne Fine Art & Antiques am Dienstag, den 18. November 2008 statt. Die Laudatio hält Dr. Pia Müller-Tamm, Kommissarische Leiterin der Kunstsammung NRW K20/K21. In einer Sonderschau wird ein Querschnitt des druckgraphischen Oeuvres (Offsets, Serigraphien und Inkjet-Prints) von Katharina Sieverding zu sehen sein.
Cologne Fine Art & Antiques, 19. bis 23. November 2008, Messegelände in Köln-Deutz, Halle 3.
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